Kür der Allgemeinbildung: Das Bilder-Rätsel (Rebus)

Der Rebus – Magie des Zeich(n)ens

von Walter Eigenmann

Das „klas­si­sche“ Bil­der-Rät­sel, zu­mal das im 18. und 19. Jahr­hun­dert in Eu­ro­pa ver­brei­te­te, – auch un­ter dem Be­griff „Re­bus“ be­kannt – zählt zu je­nen „Denk­sport-Ar­ten“, die vom Be­trach­ter bzw. Lö­ser oft ein ho­hes Maβ an Lo­gik, All­ge­mein­bil­dung, As­so­zia­ti­ons­fä­hig­keit und Abs­trak­ti­ons­ver­mö­gen, aber auch ge­hö­ri­gen Sinn fürs Pit­to­res­ke, ja Sur­rea­le ver­lan­gen. Auf höchs­tem Ni­veau wird der Re­bus, wo er so­wohl zeich­ne­risch mit Kunst­an­spruch da­her­kommt als auch ex­pli­zit nach Sinn-Sprü­chen, Sprich­wör­tern oder an­de­ren mo­ra­li­schen Sen­ten­zen sucht, gleich­sam zur „mo­der­nen“ Hie­ro­gly­phe, de­ren Se­mio­tik und Se­man­tik auf­zu­schlüs­seln oft nur in viel­stün­di­ger Ar­beit ge­lingt – wenn überhaupt.

Das Bilderrätsel als politische oder religiöse Chiffre

Beispiel eines simplen, aber zeichnerisch reizvollen Rebus aus dem vorletzten Jahrhundert; Gesuchter Begriff:
Bei­spiel ei­nes simp­len, aber zeich­ne­risch reiz­vol­len Re­bus aus dem vor­letz­ten Jahr­hun­dert; Ge­such­ter Be­griff: „Eine an­ge­se­he­ne Person“

Die Be­schäf­ti­gung mit die­ser nicht erst seit dem vor­letz­ten Jahr­hun­dert (v.a. im ro­ma­ni­schen Raum) ver­brei­te­ten, son­dern schon in der An­ti­ke nach­weis­ba­ren Form des „De­chif­frie­rens“ sinn­voll ge­ord­ne­ter Bild- und Buch­sta­ben-Ele­men­te ist also mei­len­weit ent­fernt da­von, bloβ „die Zeit tot­zu­schla­gen“. Denn die zu trans­po­nie­ren­den In­hal­te des klas­si­schen Re­bus wa­ren zwar oft un­ter­halt­sa­mer, aber meis­tens viel­mehr (oder zu­min­dest auch) po­li­ti­scher, ge­sell­schaft­li­cher, ja gar re­li­giö­ser Art. Im Ge­gen­satz zum heu­ti­gen, in sei­ner Ver­brei­tung dem frü­he­ren Re­bus ver­gleich­ba­ren Kreuz­wort- ge­sellt sich beim Bil­der-Rät­sel zum rein sprach­lich-le­xi­ka­li­schen Kon­text noch das Laut­ma­le­ri­sche und das Zei­chen­sprach­li­che – die gan­ze kom­ple­xe Welt des Pik­to­gra­phi­schen. Da­mit hat der an­spruchs­vol­le Re­bus (vom spä­ten Mit­tel­al­ter bis ins frü­he 20. Jahr­hun­dert) mit der pri­mi­ti­ven Zei­chen­spra­che z.B. schrif­tun­kun­di­ger Na­tur­völ­ker nur noch we­nig gemeinsam.

Zu ei­ner re­gel­rech­ten Mode, die prak­tisch den ge­sam­ten ge­sell­schaft­li­chen Be­reich der Zeit „ab­deck­te“, wur­de der Re­bus in der Re­nais­sance. An­ge­regt von der da­mals auf­stre­ben­den, die ge­lehr­te (Humanismus-)Welt so­fort fas­zi­nie­ren­de Ägyp­to­lo­gie bzw. Hie­ro­gly­phik ent­stand eine ge­wal­ti­ge Fül­le von Bild-Wort-Zei­chen-Buch­sta­ben-Fü­gun­gen, wel­che von der Fa­mi­lie bis zum Staat, von der Ero­tik bis zur ho­hen Po­li­tik fast al­les an Hö­fi­schem und Ge­ho­be­nem, aber nicht im­mer „Sa­lon­fä­hi­gem“ chiffrierte.

Jenseits aller gelehrten Spielerei

Melchior Mattsbergers
Mel­chi­or Matt­s­ber­gers „Bi­bli­sche Figur-Sprüche“

Der Re­bus wur­de also zu weit mehr als ei­ner ge­lehr­ten Spie­le­rei, und bald prang­ten auf al­len mög­li­chen Kunst-Ge­gen­stän­den, Pfor­ten­säu­len und Me­dail­len der Re­nais­sance sol­che Rät­sel-In­schrif­ten. Das 17. und 18. Jahr­hun­dert wei­te­te den Re­bus dann so­gar re­li­gi­ös aus zur „Geist­li­chen Her­zens­ein­bil­dung“ (z.B. beim Augs­bur­ger Au­tor Mel­chi­or Matt­sper­ger), wel­che bi­bli­sche In­hal­te re­bus­ar­tig „über­setz­te“ – zur „Er­bau­ung und from­men Un­ter­rich­tung der Jugend“.

An­hand des fol­gen­den, mit­tel­schwe­ren, in der Kom­po­si­ti­on aber re­prä­sen­ta­ti­ven Re­bus aus der sei­ner­zeit be­rühm­ten Pos­til­le „Über Land und Meer“ – ihr sind prak­tisch alle un­se­re Gra­fi­ken die­ses Ar­ti­kels ent­nom­men – sei nach­ste­hend bei­spiel­haft un­ter­sucht, wie ein Re­bus zu­sam­men­ge­setzt ist – und wie man ihn knackt:

Rebus aus der seinerzeit berühmten Postille
Re­bus aus der sei­ner­zeit be­rühm­ten Pos­til­le „Über Land und Meer“

Das Rät­sel ist mit sei­nen drei Zei­len und de­ren deut­lich ab­ge­grenz­ten Bild­mo­ti­ven (3-4-3) gra­phisch klar struk­tu­riert, und ob­wohl es kaum „Sprach-li­ches“ (Wörter&Buchstaben), son­dern fast aus­schlieβ­lich „Bild-haf­tes“ (Fi­gu­ren und Zei­chen) auf­weist (was die Lö­sung ge­mein­hin er­schwert),  las­sen sich sei­ne Ele­men­te gut iso­lie­ren und da­mit leich­ter analysieren:

Der hal­bier­te Ad­ler (= Ad) und die zwei Buch­sta­ben vo = Advo…
Die­Kat­zen ohne das Z (durch­stri­chen) = ka­ten —> Advokaten
Das lie­gen­de Fra­ge­zei­chen als Brü­cke über den Fluss zwi­schen Mal­mö und Ko­pen­ha­gen = Öre­sund; das an­füh­ren­de Apo­stroph (nach Ko­pen­ha­gen) als häu­fi­ges Aus­las­sungs­zei­chen im Re­bus = und
= Sol­da­ten
Das Kind mit dem aus­las­sen­den Apo­stroph bzw. dem er­set­zen­den s = sind
Die Mu­sik­no­te = des
Der Teu­fel mit an­ge­füg­tem s = Teufels
Der Spie­gel mit den bei­den durch­strri­che­nen Buch­sta­ben g und l = Spiel…
Die Ka­me­ra mit dem aus­las­sen­den Apo­stroph am Schluss = …ka­mer… —> Spielkamer…
Un­ter­halb von Sa­naa am Golf = …aden —> Spielkameraden

Die Lö­sung lau­tet hier also:
„Ad­vo­ka­ten und Sol­da­ten sind des Teu­fels Spielkameraden“

Vom simplen Bild-Motiv bis zur komplexen Verschlüsselung

Wie im­mer in ei­nem an­spruchs­vol­le­ren Re­bus wech­seln sich auch hier leicht er­sicht­li­che Bild-Mo­ti­ve (z.B. „Sol­da­ten“) und schwie­ri­ge­re, nicht ohne Re­cher­che-Ar­beit zu ent­rät­seln­de Ver­schlüs­se­lun­gen (z.B. Öres“und“brücke) ab. Mit et­was Hart­nä­ckig­keit und All­ge­mein­bil­dung (nicht zu­letzt auf dem Ge­bie­te der gän­gigs­ten al­ten Sinn- und Mo­ral­sprü­che…) ist aber auch in un­se­rer Zeit je­des noch so künst­le­risch-abs­trak­te Bil­der­rät­sel aus dem 19. Jahr­hun­dert de­co­dier­bar. Wo­bei nicht ver­ges­sen wer­den soll­te, dass sei­ner­zeit we­der ge­naue Land­kar­ten noch Goog­le be­kannt waren…

Leh­nen Sie sich also mal ent­spannt zu­rück und wid­men Sie Ih­ren gan­zen Scharf­sinn der fol­gen­den Knack­nuss. Ge­sucht ist ein­mal mehr ein „Spruch zur Er­bau­ung und Be­leh­rung“ – viel Erfolg…

Ein Rebus der anspruchsvolleren Art aus dem 19. Jahrhundert. Gesucht ist einmal mehr ein
Ein Re­bus der an­spruchs­vol­le­ren Art aus dem 19. Jahr­hun­dert. Ge­sucht ist ein­mal mehr ein „Spruch zur Er­bau­ung und Belehrung“…

Der Rebus als „intellektuelle Kunst“

Die Hoch­blü­te des Re­bus als ei­gent­li­che „Kunst­gat­tung“, wel­che we­der ge­sell­schaft­li­che noch mo­ra­li­sche Le­gi­ti­ma­ti­on be­nö­tig­te und so­wohl in­halt­lich wie for­mal völ­lig aut­ark auf­trat, da­tiert im zwei­ten Drit­tel des 19. Jahr­hun­derts. Die Ra­sanz der Pres­se-Ent­wick­lung in Eu­ro­pa, v.a. die enor­me Ver­brei­tung der sog. „Il­lus­trir­ten“ för­der­te die Be­liebt­heit die­ser Rät­sel-Form aus Bil­dern, Zah­len und Buch­sta­ben un­ge­mein. Gan­ze Re­bus-Al­ma­na­che la­gen nun plötz­lich in den Buch­hand­lun­gen – das mo­der­ne Su­do­ku-Fie­ber un­se­rer Tage lässt grüβen…

Auch hier: Oft ist das grafisch-malerische Primat vor inhaltlicher Komplexität anzutreffen (Mitte 19. Jh.)
Auch hier: Oft ist das gra­fisch-ma­le­ri­sche Pri­mat vor in­halt­li­cher Kom­ple­xi­tät an­zu­tref­fen (Mit­te 19. Jh.)

Mög­lich war jetzt die ge­sam­te Zei­chen-Pa­let­te, über wel­che sich das auf­ge­klär­te Le­se­pu­bli­kum des ge­ho­be­nen Bür­ger­tums als se­man­ti­schen Kon­sens ver­stän­dig­te. (Denn Vor­aus­set­zung für eine sinn­vol­le Re­bus-Lek­tü­re ist u.a. selbst­ver­ständ­lich, dass Ver­fas­ser und „Le­ser“ die­sel­be Laut­schrift be­nut­zen; was für den deut­schen Re­bus-Lö­ser schnell ent­schlüs­sel­bar ist, wird dem An­der­spra­chi­gen zum kon­text­lo­sen Kau­der­welsch, und um­ge­kehrt.) Die Kon­struk­ti­on die­ser il­lus­trier­ten Denk­sport­auf­ga­ben folg­te kei­nem Re­gel-Ka­non mehr, die im­mer kom­pli­zier­ter, ver­track­ter wer­den­den gra­phi­schen Ka­bi­nett­stück­chen er­wuch­sen der bil­dungs-be­flis­se­nen Mit­tel­schicht zur in­tel­lek­tu­el­len Kurz­weil ers­ter Güte. Der Schwie­rig­keits­grad ei­nes Re­bus ist, so­bald in ihm das Bild­zei­chen als die tra­gen­de Zei­chen-Art fun­giert, we­sent­lich ab­hän­gig von der Tech­nik, wie sei­ne Ele­men­te kom­po­niert sind: Je ein­heit­li­cher sei­ne „Sinn­trä­ger“, des­to „sinn­fäl­li­ger“, sprich ein­fa­cher die Lö­sung; je va­ria­bler die Ge­stal­tung sei­nes Ma­te­ri­als aus­fällt, des­to schwie­ri­ger, gleich­sam „eso­te­ri­scher“ wird es, die Bild(er)figuren und Schrift­zei­chen auch in­halt­lich auf­ein­an­der zu be­zie­hen. Ein zu­sätz­lich ver­wir­ren­des Mo­ment ge­sellt sich in der Op­tik hinzu.

Verwirrung stiften, doch ästhetischen Reiz schaffen

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An­zei­ge

Viel­fach sind es gra­phi­sche bzw. äs­the­ti­sche und nicht „le­se­tech­ni­sche“ Ge­sichts­punk­te, wel­che die An­ord­nung bzw. Gröβe der ver­schie­de­nen Ele­men­te be­stim­men. (Ins­ge­samt dürf­te beim klas­si­schen Bil­der­rät­sel die Lö­sung dort ver­ein­facht sein, wo die nicht­fi­gür­li­chen, also die Wort und Buch­sta­ben-Be­stand­tei­le ge­gen­über den fi­gür­li­chen Ele­men­ten überwiegen.)

Die sog. Allgemeine Illustrirte Zeitung
Die sog. All­ge­mei­ne Il­lus­trir­te Zei­tung „Über Land und Meer“ war nur eine der vie­len Pos­til­len im vor­letz­ten Jahr­hun­dert, wel­che das Bil­der­rät­sel als no­blen Zeit­ver­treib brei­ter ge­bil­de­ter Schich­ten etablierten

Je­der Re­bus mit qua­li­ta­ti­vem An­spruch ist eine se­mio­ti­sche „Welt für sich“, Din­ge ent­hal­tend, die be­kannt sind, und die man doch nicht kennt – wenn Kennt­nis hier näm­lich „sinn­stif­ten­der Zu­sam­men­hang“ meint. Die­se nur schein­bar feh­len­de Ord­nung ist vom „Le­sen­den“ erst her­zu­stel­len, das Sur­rea­le im Bil­der­rät­sel be­darf zwin­gend des Lö­sungs­sat­zes. Letz­te­rer ist oft ge­nug tri­vi­al bis läp­pisch – und doch de­co­diert er je ei­nen gan­zen Kosmos.

Zum Schluss die­ses klei­nen Trac­ta­tus über ein ur­altes Kul­tur­phä­no­men, das bis heu­te nichts von sei­ner Fas­zi­na­ti­on ein­ge­büβt hat – und  zum Bei­spiel in der mo­der­nen Pla­kat-Wer­bung eine be­deu­ten­de Rol­le spielt! – noch ein be­son­ders schö­nes Re­bus-Ex­em­plar, das eben­falls aus der be­rühm­ten Il­lus­trier­ten „Über Land und Meer“ stammt und ei­ni­gen de­tek­ti­vi­schen Spür­sinn abverlangt… ♦

Entschlüsseln Sie die Bild-Motive und versteckten Rebus-Wörter und puzzlen Sie diese zu einem Lösungssatz!
Ent­schlüs­seln Sie die Bild-Mo­ti­ve und ver­steck­ten Re­bus-Wör­ter und puz­zlen Sie die­se zu ei­nem Lösungssatz!

Le­sen Sie zum The­ma „Ver­rät­sel­te Bil­der“ auch im Glarean Ma­ga­zin die 6. Wort-Bild-Me­di­ta­ti­on über „Das schwar­ze Quadrat“


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